28.09.2020
(Über)Leben im Lockdown in Indien. Die Geschichte von Naveena ist eine Geschichte von Vielen.
Naveena* (*Name geändert) stammt ursprünglich aus einem der grössten, immer noch sehr ländlich geprägten Flächenstaaten Nordindiens. Im Herbst 2019 zog sie mit ihrem Mann Amith* in einen Nachbarstaat um, da sie dort bessere Arbeit finden konnte. Sie ist Tagelöhnerin auf Baustellen oder in der Landwirtschaft und somit ohne beständiges Einkommen. Davon muss sie jedoch ihre Familie mit vier Kindern ernähren. Ihr Mann ist alkoholabhängig und trägt seit Jahren nicht substantiell zum Familieneinkommen bei.
Der Umzug in ein neues Bundesland war schwierig und trennte sie vom gewohnten sozialen Umfeld. Kinderreiche Familien sind nirgendwo wirklich willkommene neue Nachbarn. Die Familie hatte sich gerade etwas eingelebt, als am 22.März in Indien der Lockdown verkündet wurde – und mit ihm der Verlust sämtlicher Arbeitsmöglichkeiten für Naveena. Wegen des Umzugs sind sie behördlich noch im alten Bundesstaat registriert, dorthin aber können sie nicht zurück, es gibt keine Transportmöglichkeit. Dadurch kommen sie auch nicht an die von der indischen Regierung aufgelegte finanzielle Unterstützung; jene hätte wenigstens ein klein wenig die Not gelindert, wenn auch nicht substanziell geholfen.
Damit gehört Naveena und ihre Familie statistisch zu den 122 Millionen Arbeitslosen, die der Lockdown im Niedrigstlohn-Segment produziert hat und mittlerweile zu den 12 Millionen, die in Indien nach Angaben der Weltbank mit weniger als 1.70 Euro pro Tag in der Kategorie „Extreme Armut“ ihr Dasein fristen. Doch die bittere Realität dieser Verhältnisse wird dadurch nicht abgebildet.
Diese sieht man erst in der direkten Begegnung mit den Betroffenen, so wie Divyan D.*, der in seinem Nachbardorf auf Naveena gestossen war. Und dabei feststellen musste, dass sie mittlerweile nicht nur mit dem fünften Kind schwanger war, sondern ihr Mann sie Ende April, ziemlich genau einen Monat nach der Verkündung des Lockdowns, kurzerhand verlassen hatte; er wollte nicht erleben, dass Naveena ihm vielleicht eine fünfte Tochter gebären würde und machte sich davon. Auf der Suche nach einer anderen Frau, die ihm einen Sohn schenken würde und ganz offensichtlich auch aus der Verantwortung.
Naveena musste wieder arbeiten gehen, kollabierte aber schon bald und war über eine Woche krank zuhause, als Divyan auf sie stiess. Nachbarn hatten ihn auf das Schicksal "nebenan" aufmerksam gemacht. Unbürokratisch konnte der Familie durch eine Spende geholfen werden und Lebensmittel zur Verfügung gestellt werden.
Naveenas Geschichte ist nur ein Beispiel, wie Gott Menschen bewegt und wie konkrete Hilfe bei den Menschen in Indien ankommt.